Als sich dank Louis Pasteur Ende des 19.Jahrhunderts abzeichnete, dass die alkoholische Gärung tatsächlich eine von Lebewesen betriebener Prozess ist, erlangten die Brauer auch immer feinere Kontrolle über diesen Herstellungsschritt und nutzten diese in Deutschland auch. Hatte man bisher immer mal wieder ein mehr oder weniger saures Bier produziert, schlug die Stunde der Hefereinzucht. Saure Biere waren im deutschsprachigen Raum schnell auf dem Rückzug. Selbst die Berliner Weiße, einer der letzten deutschen Sauerbiervertreter war bis Mitte des 20. Jahrhunderts fast ganz von der Bildfläche verschwunden. Andernorts auf dieser Welt aber hielten sich Sauerbiere – vor allem in Belgien.
Lambic, Kriek, Faro
Die lebendigste Tradition haben Sauerbiere also In Belgien. Mit die weltweit renommiertesten Biere unseres Nachbarlandes schmecken sauer. Das Lambic etwa gilt als der vielleicht anspruchsvollste und komplexeste Bierstil der Welt. Im Grunde sprechen wir hier von einem spontan vergorenen Weizenbier, wobei aber eine Besonderheit in Abgrenzung zum deutschen Weizenbier darin liegt, dass der belgische Brauer hier „Rohfrucht“, also unvermälzten Weizen, verwendet. Nach dem Brauen werden Lambics traditionell in ein Kühlschiff (koelschip) gegossen, eine große, flache Wanne meist im Dachgeschoss der Brauerei, in der der eben noch kochende Sud möglichst schnell abkühlen sollte, ehe er in den Gärtank gefüllt wird. Früher hatten auch deutsche Brauereien Kühlschiffe, allerdings wurden diese zunächst durch offene Berieselungskühler und heute durch weitgehend durch geschlossene Gegenstrom-Plattenwärmetauscher ersetzt, weil die Gefahr, dass die Würze sich, wenn sie da so offen herum steht, Infektionen durch Bakterien oder wilde Hefen einfängt, hoch ist. Genau das aber strebt der Lambic-Brauer durch das Abkühlen im Kühlschiff an. Dieses Vorgehen, bei dem die Würze ohne das menschliche Zutun oder den Zusatz von Hefe beginnt zu gären, nennt man Spontangärung. Oft stehen dafür in den Kühlschiffen belgischer Traditionsbrauereien die Fenster offen, werden Moos und Spinnweben an der Decke niemals entfernt oder es wird in Extremfällen sogar die richtige Jahreszeit abgepasst – denn all das beeinflusst genau die wilden Hefen, die den Geschmack der Biere des jeweiligen Hauses prägen. Danach gärt Lambic über Wochen in offen Gärbottichen, ehe eine teils Jahre dauernde Lagerzeit beginnt. Manchmal kommen Früchte wie Himbeeren, Pfirsich oder Kirschen in den Gärbottich. Generell spricht man dann von Fruchtlambics, bei der Kirschvariante von Kriek und bei der Form mit Himbeeren vom Framboise. Eine weitere Trinkart des Lambic ist das Faro. Dabei handelt es sich um ein junges Lambic, das mit Kandiszucker versetzt serviert wird. Zu den bekanntesten Lambic-Brauereien gehören die Brassereie Cantillon in Anderlecht sowie die Brouwerij Drie Fonteinen.
Gueuze
Oft sind Lambics extreme Biere, sehr sauer, sehr harsch, manche sprechen gar von kuhstallartigen Aromen (wer kennt nicht den Geruch der Rinde eines alten Bergkäses?). Das ist auch der Grund, warum Lambics nicht selten verschnitten werden. Jüngere Biere (bis etwa zwei Jahre) mit älteren (drei, vier oder gar fünf Jahre) gemischt, ergeben zugänglichere, trinkbare Biere – die Gueuze. Die noch nicht vergorenen Restzucker in jungen Lambics verleihen der Gueuze eine angenehme Fruchtigkeit. Der vielleicht bekannteste gueuzier ist Frank Boon. Seine Boon Oude Geuze Mariage Parfait ist unter Sauerbierfans weltberühmt.
Berliner Weisse
Die Berliner Weisse ist ein Berliner Weißbier, also ein mit Weizenmalz gebrautes, obergäriges, helles Bier, traditionell sehr leicht (um etwa 3 % Vol., und damit nach der alten aber immer noch geläufigen Deklaration kein „Vollbier“ wie Pils oder Helles, sondern ein „Schankbier“). Im Berlin des 18. und 19.Jahrhunderts war die Weisse das Berliner Bier. Mehr als hundert Brauereien soll es damals gegeben haben, die nichts anderes produzierten als dieses milchsaure und mit Brettanomyces-Hefen vergorene Bier. Als die Truppen Napoleons 1806 in der Stadt an der Spree einmarschierten, berauschten sie sich voll Freude damit und gaben der Berliner Weisse den schönen Spitznamen „Champagner des Nordens“. Dann allerdings, zu Beginn des 20.Jahrhunderts, als untergärige Hellbiere wie das Pils von Böhmen und der Hanse aus die deutsche Bierlandschaft eroberten, verlor die Weisse an Bedeutung. Die frühen Marketingversuche, sie mit Schirmchen und fruchtigem Schuss (anfangs ein Kümmelschnaps als Berliner „Strippe“ oder später mit Holunder- bzw. Waldmeistersirup in grün und rot als Sommerdrink beliebt zu halten, scheiterten und die Berliner Weisse drohte gänzlich auszusterben. Kleine Brauer wie Ulrike Genz von der Sdchneeeule Berlin braut ausschließlich die klassische Berliner Weiße, um diesem traditionellen Stil zu einer Renaissance zu verhelfen.
Gose
Die Gose hingegen ist in Leipzig zuhause, so sagt man, wenn auch ihr Name mutmaßlich auf die Stadt Goslar zurück geht. Die bekanntesten Gosen sind wohl die Ritterguts Gose und die des Bayerische Bahnhofs. Beide sind kaum außerhalb Leipzigs zu bekommen – zumindest nicht innerhalb Europas. Die erfrischende Säure der Original Gose, die vor der Gärung zugeführten Milchsäure-Kulturen zu verdanken ist, wird durch eine Prise Salz und Koriandersamen – Zutaten, die mit verbraut werden – abgerundet.
Amerikanische Sauerbiere
Sauerbier ist schon etwas ganz Eigenwilliges. Bei Bier sind die Geschmackknospen einfach zunächst auf bitter, malzig, dunkel gepolt. Sauer und frisch ist im ersten Moment erschreckend. Dennoch gibt es mittlerweile auch in den USA Brauereien, die sich auf die Produktion von sauren Bieren spezialisiert haben, Dort prägten Brauer mit ihren Bieren den Stil des „American Spontaneous Ale“, ein transatlantisches Äquivalent zum Lambic. Ganz spannend, aber tatsächlich nur etwas für den fortgeschrittenen Craft-Trinker, sind die amerikanischen „dry-hopped Sours“, saure Biere, die während Gär- oder Lagerzeit mit Hopfen gestopft werden. Das ist ungewöhnlich, da bei belgischen Sauerbieren der Hopfengeschmack eine eher untergeordnete Rolle spielt.
Die populärsten sauren Biere in der US-Craft-Szene aber haben deutschen Ursprung: Es sind die Berliner Weisse und die Gose